Gedenkfeier am Hauptbahnhof für Edith Stein und alle weiteren Opfer

"Sie hat sich vom Hauch des Himmels erfüllen und sich immer wieder auf neue, ungeahnte Wege führen lassen"

Vor 79 Jahren, am 7. August 1942, hielt gegen 13 Uhr am Hauptbahnhof in Schifferstadt kurz ein Deportationszug auf dem Weg nach Auschwitz. Darin befanden sich 987 Menschen, die in das Konzentrationslager Auschwitz deportiert und ermordet wurden. Unter den Opfern war bekannterweise auch Edith Stein, damals katholische Ordensschwester Teresia Benedicta vom Kreuz, von der laut Überlieferung das letzte Lebenszeichen kam auf ihrer Fahrt in den Tod. Anlässlich der Veranstaltungsreihe „Zug der Erinnerung“ hatte die damalige Pfarreiengemeinschaft zum 70-jährigen Gedenken 2012 erstmals zu einer Gedenkfeier für alle Menschen eingeladen, die in Deportationszügen durch Schifferstadt gefahren sind. Seit dieser Zeit wird jedes Jahr, inzwischen auch in ökumenischer Weise, daran erinnert, um niemals mehr zuzulassen, dass sich dieses Grauen wiederholt.

Am vergangenen Samstag, 07.08.2021 wurde die Gedenkfeier vor dem Hauptbahnhof von Pfarrer Dr. Georg Müller von der Pfarrei Heilige Edith Stein, Pfarrer Maik Weidemann von der Evangelischen Kirchengemeinde, Reverend Dr. Joachim Feldes von der Anglikanischen Gemeinde Rhein-Neckar und Christian Matthes von der Pfarrei Heilige Edith Stein mit bewegenden und eindringlichen Texten und Gebeten gestaltet.

"Vernichtende Erfahrungen machen wir auch heute noch dort, wo Gewalten freigesetzt werden, die alles zerstören, auch weil der Mensch seiner Verantwortung nicht immer gerecht geworden ist", hob Reverend Dr. Joachim Feldes in seiner Ansprache hervor. Eine vernichtende Erfahrung für Edith Stein sei unter anderem die Niederlage des Deutschen Reiches gewesen: als "falle erbarmungslos alles über uns her, um auch noch das letzte bisschen Leben zu ersticken, und ob es für uns, – ausgeblutet wie wir sind - überhaupt noch eine Zukunft geben kann." Dies sei dieselbe Frage, die auch den Propheten Ezechiel in der vorhergehenden Lesung umgetrieben habe: "Können denn diese Gebeine wieder lebendig werden?" Könne es jemals wieder einen Neubeginn geben und wieder aufwärts gehen? "Von allein, das erkennt Ezchiel, schafft das Volk es nicht, die Kraft kommt von außen", führte der Reverend weiter aus.
Auch Edith Stein sei ein Neuanfang gelungen, weil sie sich halten ließ von einer "Philosophischen Gemeinschaft" in Göttingen, die sich schon vor dem Krieg gebildet habe. Stelle man sich die Frage, was im Leben trage und halte, dann komme man auf solch gute und belastbaren Erfahrungen von Gemeinschaften, die treu und verlässlich seien, die jedem seinen Spielraum lasse, ein gutes Miteinander pflege, wo Respekt gezollt und Authentizität gewährt werde, damit der Einzelne nicht erdrückt, sondern aufleben könne und ermutigt werde, der Gemeinschaft zurückzugeben, war er von ihr empfangen habe. "Lasst in Eurem Miteinander Platz, damit der 'Hauch des Himmels' zwischen Euch spielen kann", zitierte er in diesem Zusammenhang den libanesischen Dichter Khalil Gibran. Dies sei der Geist der belebe, der, wie die Bibel lehre, ein Geist des Mutes sei, der frei mache und zueinander führe. "Edith Stein hat sich von diesem Geist erfüllen und sich immer wieder auf neue, ungeahnte Wege führen lassen", so Dr. Joachim Feldes. Sie habe aber ebenso erfahren, dass das Leben riskant werden könne aus diesem Geist, bedrohlich und lebensgefährlich. "Aber am Ende, und das schreibt sie auf den Zettel, den sie in Schifferstadt aus dem Zug wirft, führt der Geist 'ad orientem' zur Auferstehung", hob er abschließend hervor.

Christian Matthes erinnerte an die Zeugin Emma Jöckle, ehemalige Schülerin von Edith Stein in Speyer. Sie berichtete 1993 von ihrer Begegnung auf dem Bahnhof: "Ich war mit der Bahn von meinem damaligen Wohnort Alzenau zum Besuch meiner in Speyer lebenden Mutter unterwegs. Beim Umsteigen in Schifferstadt stand schon ein Zug auf Gleis 3. Edith Stein trug ein abgetragenes blaues Kostüm, unverwechselbar der Mittelscheitel ihrer Frisur. Ohne den Kopf nach mir zu wenden, sprach sie deutlich und klar: ‚Emma, grüßen Sie die Schwestern von St. Magdalena. Ich fahre nach dem Osten.‘ Ich hatte in diesem Moment noch keine Ahnung, in welcher Situation sich Edith Stein befunden hatte."

Der Transport erreichte am 8. August 1942 abends das Lager Auschwitz-Birkenau. Nach der Selektion wurden 315 Männer und 149 Frauen ins Lager übernommen. 523 Menschen starben sofort in der Gaskammer.

Nach der Gedenkandacht war Gelegenheit zum stillen Gebet auf Gleis 3, dem geschichtsträchtigen Platz, eine Rose niedergelegt und an alle Opfer gedacht, die das gleiche Schicksal wie Edith Stein teilen mussten.

Bericht und Bilder: Inge Schade