Gedenkfeier am Hauptbahnhof für Edith Stein und alle weiteren Opfer

Es gilt, diese Erinnerung wach zu halten, damit dieses Grauen nie mehr passiert

Ein herzliches Willkommen richtete  Reverend Dr. Joachim Feldes von der Anglikanischen Gemeinde Rhein-Neckar an die trotz Hitze und unter Corona-Bedingungen zahlreich gekommenen Teilnehmenden am Hauptbahnhof, die sich am Freitag, 07.08. um 12.45 Uhr auf dem Vorplatz des Hauptbahnhofes zu einer ökumenischen Gedenkfeier für Edith Stein eingefunden hatten. Denn an diesem Tag vor 78 Jahren hielt gegen 13 Uhr ein Transportzug mit 987 Gefangenen an Gleis 3, darunter auch Edith Stein, von der laut Überlieferung das letzte Lebenszeichen auf ihrer Fahrt in den Tod kam.

Dr. Joachim Feldes bezeichnete die 1998 heilig Gesprochene als eine Frau, die sich zeitlebens in Kirche und Gesellschaft engagiert und andere dazu ermuntert habe, dies auch zu tun. "Sie verfolgte das Geschehen in der Kirche und in der Welt sehr aufmerksam", so der Reverend. Ihr sei bewusst gewesen, dass Krisen nicht vom Himmel fallen würden, seien es Krankheiten, Epidemien, militärische Auseinandersetzungen oder wirtschaftliche Zusammenbrüche. Sie sei der Überzeugung gewesen, dass man im Angesicht des Leides nicht distanziert bleiben und sich raushalten könne, sondern müsse das tun, wozu die Christen berufen seien, nämlich Hilfe zu leisten, wo auch immer es Not tue, auch wenn es schwerfalle.
Sie selbst habe diese Erfahrungen bereits im ersten Weltkrieg konkret gemacht, als sie den Dienst als Rot-Kreuz-Schwester auf einer Seuchenstation versah, und das gegen den ausdrücklichen Willen ihrer Mutter. Da habe es keine Zeit zu überlegen gegeben, was zu tun war, sondern man musste funktionieren, was aber zu einer Art Routine führte im Angesicht von Leiden und Tod. Doch diese Routine sei unterbrochen worden, als sie beim Ordnen der Habseligkeiten eines Verstorbenen ein Notizbuch gefunden habe, mit einem auf einen Zettel geschriebenen Gebet von der Frau des Verstorbenen. "Es war ein Gebet um die Erhaltung seines Lebens und das ging mir durch und durch", sei in einem ihrer Briefe zu lesen.
"Diese Erfahrungen waren es, die Edith Steins Leben prägten", führte Joachim Feldes auf. Doch wie sehe es heute damit aus, in einer Zeit, wo es viel Ungewissheit, Krankheit, Einsamkeit und Pandemien gäbe, wo Sterben und Tod tausendfach geschehe. "Wie sieht unsere Antwort aus, nehmen wir unsere Verantwortung wahr?" fragte er abschließend.

Pfarrerin Barbara Abel-Pohlack erbat in ihren Fürbitten unter anderem darum, dass sich dieses Grauen niemals wiederhole, aber auch um Mut um Tatkraft, um Unrecht beseitigen zu helfen, Nüchternheit und Geduld, um das Unrecht nicht noch größer zu machen, so dass die Menschen ihre Verantwortung erkennen und Aufgaben übernehmen.

Pastoralreferent Heinrich Schmith unterlegte dies mit einem Segensgebet von Edith Stein, in dem es unter anderem heißt: "Und jenen Zug der nächt'gen Schwärmer segne, die unbekannter Wege Spuk nicht scheuen. Die Not der Menschen segne, die zur Stunde sterben. Gib ihnen, guter Gott, ein friedlich, selig End."

Christian Matthes von der Pfarrei Heilige Edith Stein und Hauptorganisator der Gedenkfeier, erinnerte an den Zeugen Ferdinand Meckes, der damals Kaplan in Ludwigshafen und nur zufällig am Bahnhof war, weil er auf den Anschlusszug wartete. Dieser habe unter anderem berichtet: "Eine Frauenstimme spricht mich aus einem vergitterten Lukenloch eines Transportzuges an: 'Waren Sie nicht im Konvikt? Ich kenne Sie.' Ich gab zurück: 'Doch – wer sind Sie?' Es kam die Antwort: 'Ich bin Schwester Teresia Benedicta a cruce – wissen Sie: Edith Stein.' Meine Antwort: 'Ich kenne Sie!' Darauf bat sie: 'Bestellen Sie bitte liebe Grüße an Prälat Lauer und die Schwestern von St. Magdalena. Ich fahre gen Osten.'"

Der Transport erreichte am 8. August 1942 abends das Lager Auschwitz-Birkenau. Nach der Selektion wurden 315 Männer mit den Nummern 57405 bis 57719 und 149 Frauen mit den Nummern 15812 bis 15960 ins Lager übernommen. 523 Menschen starben in der Gaskammer.

"Diese Geschichte spricht für sich", so Christian Matthes. Wie Edith Stein seien Millionen von Menschen gestorben. "Wir erinnern uns daran, damit wir Sorge tragen, dass so etwas nie wieder passiert", fügte er hinzu.

Nach der Gedenkandacht war Gelegenheit zum stillen Gebet auf Gleis 3.

Bericht und Fotos: Inge Schade