Edith Stein und die dunkle Nacht
"Das Leben von Edith Stein endete in der dunklen Nacht, in der Vernichtung, der versuchten Auslöschung ihres Lebens und ihrer ganzen Existenz durch die Nationalsozialisten. Aber sie hatte einen anderen Blick auf dem Weg ihres Lebens, auf die Nacht, denn sie lebte aus der großen Tradition ihres eigenen Ordens. Sie verstand ihr Leben als eine Angleichung an Jesus Christus bis hin ans Kreuz", so Pfarrer Dr. Georg Müller zu Beginn der Andacht am fünften Fastensonntag in St. Laurentius, in der seine Gedanken zu "Edith Stein und die dunkle Nacht" eingebunden waren. Die Nachterfahrung kann sowohl Leid, Kreuz und Gottesferne als auch Erfüllung und Gottesbegegnung ausdrücken.
Auch bei Edith Stein hat es Leiderfahrungen gegeben, die aber zur Gestaltung und Hineinfühlens ihres Glaubens beitrugen. Als Beispiel nannte Pfarrer Dr. Georg Müller die Begegnung mit der Trauerfamilie Reinach, in der sie nicht die Witwe trösten musste, sondern sie durch den Glauben der Kriegswitwe getröstet wurde. Ihr sei als Christin klar geworden, dass das Kreuz und damit auch die Erfahrung und Bewältigung von Leid zentral zum Glauben dazu gehören. "Wir erfahren Auferstehung und Heil, nicht trotz oder wegen, sondern durch und mit dem Kreuz", so der Pfarrer. Edith Stein musste dazu existentielle Erfahrungen machen, wie die des Abgelehnt-Werdens, im Schnittfeld von Liebe und Berufung und die, vielleicht am tiefsten reichende, als Mensch jüdischer Herkunft, verbunden mit Berufsverbot bis hin zu ihrer Verhaftung und ihrem Tod. Auch hier hat sie rückblickend die Erfahrung gemacht, dass Wege frei werden, auch wenn die menschlichen Pläne anders waren oder sogar zum Bösen führen sollen. Gottes Plan führt auf unterschiedliche Wegen, aber er ist es, der im Letzten bestimmt, was welche Bedeutung haben kann. Für Edith Stein war immer klar, dass grundsätzliche Entscheidungen nur in der Gegenwart des Herrn und auf sein Wort hin fallen durften.
Leben für andere im Karmel
Viele ihrer Briefe zeigen auf, dass sie sich hineingestellt hat in das große Erlösungswerk Jesu und darin geistlich fruchtbar werden wollte. Erhellend waren dabei Worte von Teresa von Avila, die so im Gebet lebte, das ihr ein scharfer Blick für die Not und Erfordernisse ihrer Zeit geschenkt wurde: "Es sei nun an der Zeit, dass sie fortan sich seiner Angelegenheiten als der ihrigen annehme, der Herr dagegen werde für die ihrige Sorge tragen". Das meint zwar nicht nur die Glaubensnacht, ist aber eine entschiedene Einstellung, die hilft, auch in der Nacht weiter zu gehen und auf Gottes Handeln zu vertrauen. Die Nacht des Bösen hat Edith Stein auch im Kloster Echt nicht losgelassen, die politische Wirklichkeit und das Böse, das in Deutschland an der Macht war. Schon im Vortrag über die Menschwerdung (1931 in Ludwigshafen) meinte sie: "Der Stern von Bethlehem ist ein Stern in dunkler Nacht, auch heute noch. Das Geheimnis der Menschwerdung und das Geheimnis der menschlichen Bosheit gehören eng zusammen". Sie selbst aber wusste sich verankert im Ewigen: "Meine Grundstimmung, seit ich hier in Echt bin, ist Dankbarkeit, dass ich hier sein darf... Ich habe kein anderes Verlangen, als dass an mir und durch mich Gottes Wille geschehe. Bei ihm steht es, wie lange er mich hier lässt und was dann kommt – in seine Hände lege ich mein Geschick."
Die Frage nach der Sühne – ein wesentlicher Teil der geistlichen Haltung im Karmel, auch bei der Frage nach de Nacht – wurde für sie immer deutlicher. Am Passionssonntag 1939 bat sie ihre Priorin, sich Gott als Sühnopfer anbieten zu dürfen, "für den wahren Frieden, dass die Herrschaft des Antichrist wenn möglich ohne einen neuen Weltkrieg zusammenbricht und eine neue Ordnung aufgerichtet werden kann..."
Auseinandersetzung mit Johannes vom Kreuz (1542 bis 1591)
Im Blick auf den 400. Geburtstag des großen spanischen Karmeliters Johannes vom Kreuz wurde Edith Stein 1942 mit der Studie über sein mystisches Schrifttum beauftragt, in deren Mittelpunkt das Leiden und dessen geistliche Annahme stehen sollte. Dieser Heilige gilt zusammen mit Teresa von Avila als Ordensreformer im 16. Jahrhundert, er trat nach einer harten und armen Kindheit mit 21 Jahren in den Karmelitenorden ein. 1567 wurde er zum Priester geweiht, unterstützte Teresas Ordensreform hin zu einem strengeren Ordensleben, wofür er große Opfer bringen musste. Er galt jahrelang als theologischer Ratgeber und geistlicher Berater in Teresas Kloster. Nach einem Streit um ihre Wiederwahl zur Priorin wurde er von seinen eigenen Ordensbrüdern verschleppt und monatelang in einem dreckigen Klostergefängnis festgehalten. 1578 gelang ihm die Flucht, entfaltete eine reiche Tätigkeit, besonders als geistlicher Schriftsteller und Dichter. Hier verarbeitete er geistlich seine Nacht der Erfahrung der Gefangenenschaft und seine Leiderfahrung durch den eigenen Orden. 1726 wurde er heiliggesprochen, 1926 zum Kirchenlehrer und 1952 zum Patron der spanischen Dichter ernannt.
Auch Johannes hat sich sein Gefängnis, sein Kreuz, seine Nacht, nicht selbst ausgesucht. Es war das eigene Leiden, das er erfahren musste, ein Weg ins Nichts, den vor ihm aber Christus gegangen ist, an den er sich halten konnte. Denn: Der Gekreuzigte bleibt beides - Bild äußersten Leidens, extremer Entäußerung, Befreiung und Erlösung.
Edith Stein bemühte sich in ihrem bisher umfangreichsten Schreiben über Johannes um einen systematischen Durchblick der Kreuzeserfahrung, wie sie es nennt, und gab ihrem Werk daher den Namen "Kreuzeswisschaft": In der Nacht werden dem Glaubenden alle menschlichen Sicherheiten zerschlagen: die religiöse Sicherheit trocknet aus ("Die Grundeinstellung zur sinnlichen Welt muss eine andere werden") und die Hilfestellung des Denkens kommt abhanden. Obwohl dies nicht falsch ist, geht es ihr darum, wie schon Johannes, sich nicht durch fortschreitendes Denken einen Begriff von Gott zu machen oder mit Hilfe der Einbildungskraft voranzukommen.
Und schließlich kommt die Nacht des Glaubens, in welche die Seele geführt wird, eine aktive Nacht, in die man laut Edith Stein nach eigener Wahl und in eigener Kraft eingeht, weil man sein Kreuz auf sich nimmt und so in einen "Zustand des Verlustes" kommt. Es gibt aber auch eine passive Nacht, in der man das Letzte nicht selbst machen kann, sondern es erleidet. Der Glaube in der dunklen Nacht ist somit nicht länger ein Selbstergreifen sondern ein Ergriffen-Werden. Sie schreibt: "Um die Nacht völlig zu durchschreiten, muss der Mensch der Sünde sterben. Er kann sich zur Kreuzigung ausliefern, aber sich nicht selbst kreuzigen. Darum muss das, was die aktive Nacht begonnen hat, durch die passive Nacht vollendet werden, d.h. durch Gott."
Ihr eigener Weg in die Nacht
Auch für Edith Stein ist es nicht die Betrachtung fremden Leides, sondern ihr eigener Kreuzweg, den sie in der Tradition des Karmel versteht, womit der Sühnegedanke eine wichtig Rolle spielt, der für das Verständnis der Nacht bei ihr unverzichtbar ist.
Edith Stein bot ihr Leben als Sühnopfer an, und in diesem von sich wegsehen nahm sie die Form an, die der Herr ihrem Leben zugedacht hatte. 1942 erneuerte sie im Testament ihr Opferangebot von 1939 und dabei ausdrücklich die Entgegennahme des Todes erwähnt, "den Gott mir zugedacht hat, in vollkommener Unterwerfung unter seinem heiligsten Willen". Am Ende der Kreuzeswissenschaft schrieb sie: "So gehören eigene Seinsvollendung, Vereinigung mit Gott und Wirken für die Vereinigung anderer mit Gott und deren Seinsvollendung zusammen. Der Zugang zu all dem aber ist das Kreuz." Was Johannes vom Kreuz in einem seiner Gedichte mit "Höchste Vollendung" überschrieben hatte, das benannte sie als Eingang in das schattenlose Licht: Auf Erden bleibe auch für den neuen Menschen der "Schmerz der Sehnsucht nach der Fülle des Lebens, bis er durch das Tor des wirklichen leiblichen Todes eingehen darf in das schattenlose Licht.“
Mit diesem Vortrag endete die vierteilige Veranstaltungsreihe im "Heiligen-Edith-Stein-Jahr". Es war Pfarrer Dr. Georg Müller abschließend ein Anliegen, sich beim Vorbereitungsteam, dem Gemeindeausschuss St. Laurentius, dem Organisten Rudi Hoffmann für die Begleitung der Gemeindelieder der Andachten sowie den vorhergehenden drei Referenten, Bischof Dr. Karl-Heinz Wiesemann, Dr. Lenelotte Möller und PD Pfarrer Dr. Joachim Reger zu bedanken.
Bericht: Inge Schade